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Manuela Käppeli

«Keine Zeit für nichts» – ein selbstkritischer Blick auf die Adventszeit



Die Adventszeit ist angebrochen – die besinnlichste Zeit des Jahres. Stimmungsmachende Lichter, Glühwein im Kerzenschein, «Jingle Bells» im Hintergrund, Adventskalender an der Wand, Geschenkelisten auf dem Tisch und die Guetzli-Nachmittage fixiert. Je mehr ich diesen aktuellen Moment realisiere, kommt bei mir die Frage hoch: wie willst Du es noch rechtzeitig schaffen, alle privaten Besorgungen und Treffen mit deinen anstehenden beruflichen Aufgaben, Vorhaben vor Weihnachten unter einen Hut zu bringen und trotzdem die Zeit als besinnlich und wertvoll wahrzunehmen? Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die besinnliche Zeit nicht nur im Rahmen des Adventskalenders zu einem Countdown, sondern ebenso für mich (mit dem passenden Titelsong The Final Countdown….).


Blicken wir aus einer rein theoretischen Perspektive auf Zeit – so könnten wir annehmen, dass es sich hier um die am gerechtesten verteilten Ressource handelt: alle Personen können mit 24 Stunden pro Tag fest rechnen, allen stehen diese 24 Stunden zu. Erst auf den zweiten Blick erschliesst sich uns, dass Zeit nicht so bedingungslos gleichmässig verteilt ist wie erhofft. Die uns zur Verfügung stehende Zeit hängt nämlich von vielen externen Faktoren ab, wie beispielsweise Lebenserwartung, soziale Stellung, berufliche Position etc. Daher stellt sich nun die Frage, was dann der Wert von Zeit beeinflusst und inwiefern wir wertvolle Zeit maximieren können.


Jens Jørund Tyssedal (2021)[1] geht davon aus, dass der Wert der Zeit durch die Anzahl an Handlungsmöglichkeiten bestimmt wird. Das heisst: Je mehr Handlungsmöglichkeiten ein bestimmter Zeitraum uns zur Verfügung stellt, desto wertvoller ist für uns diese Zeit im Vergleich zu anderen Zeiträumen. Jedoch gibt es ein Problem dabei: Beschleunigungspraktiken und -tools erweitern die Handlungsmöglichkeiten pro Zeiteinheit uferlos – sprich wir haben dann plötzlich zu viele Handlungsmöglichkeiten pro Zeiteinheit, was zu einer Überforderung wegen zu vielen Gleichzeitigkeiten führen kann. Dies steht oft mit einem «positionalen Wettrüsten» in Verbindung: Um eine bestimmte Position in der Gesellschaft oder Organisation zu halten, ist eine beschleunigte Lebensführung unabdingbar – also es werden immer mehr Aktivitäten pro Zeiteinheit notwendig. Dies lässt mich meine Outlook-Agenda kritisch sehen und auch so manche Begegnung auf dem Gang mit Kolleg:innen muss ich reflektieren. Denn zumeist zeigen wir uns, wie sehr wir eben keine Zeit haben.


Gerrit von Jorck (2022)[2] schliesst mit einer erweiterten Definition an. Zeit ist nach seiner Ansicht für uns wertvoll, wenn sie frei zur Verfügung steht und planbar ist, um darüber zusätzliche Handlungsmöglichkeiten bereitzustellen, wenn sie in einem angemessenen Tempo vergeht, um ihren Wert stabil zu halten, wenn sie bis zu einem gewissen Grad synchron mit anderen Personen verbracht werden kann, aber ebenso Zeit zur autonomen Zeitverwendung bleibt. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass sich der Wert von Zeit nicht beliebig in eine Richtung steigern lässt, sondern per se in einem balancierenden Wechselspiel zwischen den unterschiedlichen Aspekten stehen muss – der Zeitwert sollte einem suffizienten Verständnis folgen, also einem Zustand der Genügsamkeit.


Und so schliesst sich für mich der Kreis wieder zu meiner Ausgangssituation, zur Weihnachtszeit. Also «don’t panic!» - diese genügsame Balance zu finden, wird meine persönliche Herausforderung für die Adventszeit sein. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen eine wertvolle und genügsame Advents- und Weihnachtszeit und schliesse diesen selbstkritischen Blick dem Zitat von Giovanni Guareschi (1959):

«Zeit haben nur diejenigen, die es zu nichts gebracht haben. Und damit haben sie es weitergebracht als alle anderen.»

[1] Tyssedal, Jens Jørund (2021). The Value of Time Matters for Temporal Justice. Ethical Theory and Moral (1). https://doi.org/10.1007/s10677-020-10149-1 [2] Von Jorck, Gerrit (2022). Zeitwohlstand, Zeitgerechtigkeit und der Wert der Zeit. Agora 42, 9-13

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